29. April – 13. Mai 2016
Route: Foz do Iguaçu > Treze Tílias > Florianópolis > Gramado > Bento Gonçalvez > São Simão > Rio Grande > Chui
Temperatursturz in Südbrasilien, deutsches Brauchtum, Schuhplattler und italienischstämmige Weinkellereien in Verbindung mit atemberaubenden Fahrten direkt am Sandstrand bis in den Grenzort Chui. Ein letzter Erlebnisbericht aus einem Land, das wir liebgewonnen haben und mehr bietet als Karneval, Samba und Churrasco. Interesse geweckt, dann lies weiter.
Wir kommen an einem Freitag in Foz do Iguaçu an, es ist heiss und wir nutzen den Swimmingpool bis am Samstag intensiv. Doch nach einem starken Gewitter am Sonntag kühlt es um fast 20 Grad ab. Nachts zeigt das Thermometer 7 Grad, wir rollen die warmen Decken wieder aus und tagsüber suchen wir die Sonne, mehr als auch schon. Ungewohnt für uns, denn mehr als 8 Monate lebten wir mit Temperaturen um die 35 Grad oder mehr (und wir lebten gut damit)! Den tollen Nebeneffekt des Regens habt ihr schon zu sehen bekommen, die Fälle von Iguaçu führen gigantisch viel Wasser den Bach, respektive den Rio Iguaçu runter. Nach diesem Gewitter will die Wärme nicht mehr so richtig kommen, es wird auch in Südbrasilien Herbst, und hie und da sehen wir ihn auch – farbige Bäume und fallende Blätter wie daheim. Im übertragenen Sinne befinden wir uns ebenfalls im Herbst, die Zeit in Brasilien läuft langsam aus. Unsere Visa sind bis 31. Mai gültig, doch wir wollen vorher ausreisen, da wir Mitte Juni von lieben Freunden in Bolivien und Mitte Juli von lieben Schweizerfreunden in Lima erwartet werden. Das nennt sich im Leben A Terminkalender! Doch zurück nach Südbrasilien, wo wir die Zeit intensiv geniessen.
Südbrasilien bietet dauergewellte Landschaft mit Araukarien als bis zu 50m hohe Blickfänger. Die stolzen Bäume, die erst im Alter von etwa 100 Jahren die unteren Äste abwerfen, haben wir schon in Chile bewundert, allerdings unterscheidet sich die brasilianische Art sehr von der chilenischen. Am Strassenrand werden wir bald auf die Pinhão-Verkäufer aufmerksam. In ihren kleinen Verschlägen kochen sie die Araukarienkerne weich und verkaufen sie für wenig Geld. Die nahrhaften Kerne erinnern uns geschmacklich an Marroni und sorgen für Abwechslung auf dem Speiseplan. Über Schotterstrassen, weil wir dem dichten Verkehr ausweichen wollen, gelangen wir immer tiefer ins Hügelland, dort wo es schliesslich aussieht wie daheim und unser Navi 1000müM anzeigt, dort wo die Gärtnereien Stiefmütterchen verkaufen, dort wo statt Zebu-Rinder, Holsteinisches Fleckvieh grast und die Molkerei „Tirol“ heisst, dort steht das Dorf „Dreizehnlinden“ oder Treze Tílias. Ein aussergewöhnlicher Ort mit Häusern, wie sie sonst nur im Tirol oder im deutschen Alpenraum stehen, Geranien vor den Fenstern, Gems- und Hirschgeweihe über dem Hauseingang, einem Maibaum und Holzschnitzern wie eben im Tirol. Da es kein Touristenbüro gibt, fragen wir im Hotel Tirol nach einem Campingplatz und siehe da, der freundliche Herr aus dem Trento, der in Lederhosen und Filzhut die Reception führt meint, wir dürften gratis auf dem Parkplatz des Hotels übernachten. Perfekt, es ist kalt und wir freuen uns, dass die Wellnessanlage auch uns zur Verfügung steht. Frisch gebadet und eingekleidet geht’s ab in die gute Stube mit dem offenen Feuer wo nach dem Abendessen die grosse Tirolershow stattfindet. Jungs und Mädels, blond und schmal, eingekleidet in Tirolertrachten tanzen zum Zillertaler Hochzeitsmarsch und zum Kufsteinerlied und ihr Schuhplattler ist nicht vom echten Tirolerplatteln zu unterscheiden. Die meisten haben Tiroler- oder Südtiroler Wurzeln, einige sprechen noch fliessend Deutsch. Treze Tílias ist für uns das typischste aller deutschsprachigen Dörfer. Eben auch hübsch gelegen.
Wir treffen uns mit Paul und Elsbeth in Blumenau, das als deutsche Hochburg gilt, eigentlich ist es nur am Oktoberfest einen Besuch wert und wird völlig überbewertet. Die Fassade ist lustig, das Eisbein saftig, das Kasseler trocken, nachspülen tun wir mit Bier, das die Deutschen hier in Varianten nach dem Reinheitsgebot brauen.
Gemeinsam verschlägt es uns in Pomerode an einen Seniorennachmittag, wo die ältere Generation zu deutscher Volksmusik das Tanzbein schwingt und wir eigentlich nur unseren Kaffeegutschein einlösen möchten. Aber gut deutsch organisiert, müssen wir bis 15Uhr warten, bevor wir uns in die Reihe stellen dürfen um unseren Cafe Colonial abzuholen. Der Teller biegt sich unter der Last von Sandwiches und Kuchen und erinnert stark an den englischen 5 O’Clock Tea.
Die Einwanderungsgeschichte aus dem deutschen Sprachraum, die im 19. Jahrhundert begann, teilweise eingeleitet von der damaligen Kaiserin Leopoldine, der Frau des brasilianischen Kaisers hat Spuren bis in die Gegenwart hinterlassen. Und darauf ist man in Brasilien mächtig stolz.
Uns zieht es ans Meer und so wir reisen alleine weiter. (@ P&E: Gute Fahrt und schöne Heimreise). Bei Florianópolis sind die Küstenstreifen stark überbaut, der Süden ist dicht bevölkert, ist Industriestandort, ist reicher als der Rest des Landes. Die mondänen Wolkenkratzer gefallen uns nicht, wir stehen lieber in einem Vorort bei den Fischern. Doch dann fällt auch hier das Wetter zusammen, eine erneute Kaltfront bricht herein und weil es in den Küstenorten in der Nachsaison aussieht wie bei uns in den Wintersportorten fahren wir zurück in die Hügel nach Gramado, einem Schauplatz der speziellen Art. Überall ein bisschen Kitsch und bald wird es zuviel, doch was Gramado bietet, das ist Superkitsch. Im brasilianischen nebelverhangenen „Sankt Moritz“ steht eine Fonduebeiz neben der anderen, es fehlen nur die Marronihäuschen, Samichläuse und Weihnachtsdeko gibt es zuhauf und eine Indoor Skianlage fehlt auch nicht. Den Brasilianern gefällt‘s und wir schmunzeln über das selbstverliebte Volk, das einmal mehr für ein Selfie posiert Das wird uns bald zu blöd und wir wenden uns den Italienern zu, welche ebenfalls in diese dauergewellte Landschaft auswanderten und ihre Weinkultur mitbrachten. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts gründeten die Auswanderer aus dem Veneto ihre Weingüter in der Gegend von Bento Gonçalvez. Brasilianer trinken eher süssen Wein, wenn überhaupt, so sind wir sehr skeptisch, werden jedoch positiv überrascht. Beim ersten Weingut „Marco Luigi“ gibt’s einen sehr guten Rotwein aus der Portweintraube Touriga Nacional. Die Gegend ist aber vor allem für Schaumweine bekannt, und auch hier werden wir positiv überrascht. Stilecht übernachten wir auf dem Weingut Casa Valduga – auf dem Parkplatz im Auto weil wir nach der Degustation von 6 Rotweinen und 6 Champagnern nicht mehr fahrfähig sind. Als Dank kaufen wir eine Flasche Marselan. Diese Traubensorte, eine Kreuzung aus Cabernet-Sauvignon und Grenache ist eine echte Entdeckung. Sehr fein!
Und nun hält uns nichts mehr, wir wollen wieder an den Atlantik. Die Destination, die wir anstreben liegt am äussersten Südzipfel Brasiliens und bietet Strandfeeling vom Feinsten. Lagoa do Peixe, die fischreiche Lagune bietet dank ihrem Nahrungsreichtum tausenden Vögeln einen Überwinterungsplatz und uns dank ihrer Ausdehnung und Einsamkeit nochmals richtiges Strandfeeling. Stichstrassen führen von der BR 101 hinunter ans Meer, wo es möglich ist, direkt am Strand zu fahren und dort mutterseelenallein zu campen. Brasilien besitzt wundervolle Strände; auch wenn es jetzt kühl ist und wir den Friesennerz überziehen, geniessen wir es in vollen Zügen. Lange ausgedehnte Strandspaziergänge am Nachmittag und anschliessend einige Runden Yatzee in der warmen Kajüte unsere Randulina oder den letzten Caipirinha im Sonnenschein am Nachmittag nach 200 km Strandfahrt von Leuchtturm zu Leuchtturm entlang der Lagoa Mangueira runden die Tage ab. Ab und zu treffen wir auf Fischer, die ihre riesigen Netze einnehmen, Möven streiten sich um die Abfälle, streunende Hunde suchen ebenfalls nach Essbarem und lagern sich um unser Auto in der Hoffnung, etwas von unserem Filet abzukriegen. Nur einmal müssen wir wegen der Flut forfait erklären und für ein kurzes Stück zurück zur Teerstrasse. Für ein Bad im Atlantik samt Auto ist es uns doch zu kalt und wir wollen unser Häuschen auch nicht unnötig vermeidbaren Gefahren und Risiken aussetzen.
Wir erreichen Chui am 15. Mai 2016, wo wir 20 Monate vorher bereits einmal waren. Wir sind gespannt, wie wir diesen Grenzort heute empfinden werden. Letztes Mal, als Reiseanfänger kam er uns hässlich vor, und heute – immer noch! Es hat sich nichts geändert. Die Zollformalitäten sind in kurzer Zeit erledigt und wir reisen in Chuy Uruguay ein, wo ein freundlicher Zöllner uns mit „Willkommen in Uruguay“ begrüsst. Wir sehen mit Wehmut nach Brasilien zurück. Até logo!