39 – Estrada Real

07. April – 21. April 2016

Route: Brasília > Diamantina > Parque Nacional Serro do Cipó > Caraça > Ouro Preto > Tiradentes > Congonhas

Nachdem ich in Brasília auf dem Campingplatz der Jugendherberge unsere Wäsche in Schuss brachte (mit einer Waschmaschine ohne Spül- und Schleuderprogramm, ja das gibt’s) und gleichzeitig ein Buch las, dessen Hauptakteurin eine Waschfrau war, sind wir weitergereist und haben die architektonisch wertvolle Stadt definitiv hinter uns gelassen.

Wir übernachten zum ersten Mal an einer Tankstelle, nach 400 km haben wir keine Lust mehr, ein Schlafzimmer in der freien Wildbahn zu suchen. Es ist aber nicht irgendeine, sondern eine sehr schöne, wo wir Aussicht auf einen Stausee mit perfektem Sonnenuntergang haben und wo anschliessend ein Buffet aufgetischt wird, das sogar wir beide als Buffetverächter geniessen. Zig Salate und Gemüse, Kartoffeln, Süsskartoffeln und Maniok in Varianten, Bohnen und zartestes Fleisch von riesigen Spiessen, am Feuer grilliert. Die Kundschaft besteht vornehmlich aus Lastwagenfahrern, daher auch budgetfreundlich. Die Nacht ist nicht so ruhig, immer wieder fährt ein Laster ab und einer kommt neu dazu, morgens um 5 Uhr ist die Welt gar nicht mehr in Ordnung, alle fahren ab, nur wir bleiben stehen und sind wach. Trotz sauberen Gratis-Sanitäreinrichtungen ist das Tankstellencamping nicht unser Ding.

Minas Gerais, von diesem brasilianischen Bundesstaat habt ihr schon gehört, zumindest dass irgendwo in Brasilien Ende des letzten Jahres zwei Rückhaltedämme einer Mine gebrochen sind, sich das mit Schwermetallen angereicherte Wasser in den Atlantik ergoss und riesige Schäden an Fauna und Flora anrichtete. Kaum eingereist, sehen wir auch schon die erste grosse Mine und fotografieren. Die Securities sind gleich zur Stelle: Não fotografar, não permitido… ich drück schnell ab. Seit Jahrhunderten wird in Minas Gerais die Erde ausgebeutet – Gold, Metalle, Diamanten. Das Königreich Portugal erfreute sich lange an diesem Reichtum, afrikanische Sklaven bauten eine Strasse von Paraty und Rio de Janeiro nach Diamantina, die Estrada Real. Tropeiros, Maultiertreiber brachten Verpflegung für die Arbeiter ins Landesinnere. Zeitzeugen sind alte Sustdörfer auf der Strecke. Hübsch und gepflegt sind die kleinen Städte mit ihrer Kolonialarchitektur und ihrem Brauchtum. Der unermessliche Reichtum ermöglichte in diesem Gebiet eine aussergewöhnliche Architektur und der Tropenbarock zeigt sich in Minas Gerais von seiner schönsten Seite. In Diamantina treffen wir ein, als eine Vesperata, in Italien wäre das eine Serenata, stattfindet. Wir finden in Paul und Elsbeth zwei Begleiter. Sie sind wie wir unterwegs und offen für vieles. So macht es richtig Spass. Nach regem Austausch und grossem Plausch sitzen wir da und lauschen der Musik. Richtig schräg, sind wir an einer Guggenmusikveranstaltung? Die Stimmung ist wunderbar, die Musiker posaunen von den Balkonen herab, jeder beherrscht sein Instrument: Laut! Auf einem Podest fuchtelt der Dirigent, doch das Zusammenspiel als Orchester braucht noch Zeit. Wir geniessen zu viert Picadinha, knuspriges Filetgeschnetzeltes und Batatas fritas.

Die Estrada Real ist grösstenteils eine gebirgige Schotterstrasse, die uns viel Staub ins Auto bringt, teilweise gepflastert oder auch erholsam asphaltiert. Sie führt uns an viele Wasserfälle und in den Parque Nacional Serro do Cipó. Hier tauschen wir das Auto mit unseren Velos und fahren….. richtig, zu einem Wasserfall. Auf 8 km hab ich zweimal platt und Stefan muss flicken. Meine Stimmung ist auf dem Nullpunkt, hoffentlich hat der Wasserfall wenigstens Wasser und ein Badebecken. Wie schon hunderte Male mit dem Auto fahren wir jetzt mit den Velos durchs Wasser, radeln durchs hohe Gras und kommen dann doch noch dazu, unseren Zvieri beim „Cachoeira da Farofa“ zu verdrücken. Das Wasser im Pool ist herrlich erfrischend. Zurück auf dem Campingplatz genehmigen wir uns einen Caipirinha, der auch ordentlich einfährt, aber das haben wir uns verdient. Richtig gebirgig ist es auch in Caraça, wo ein altes Kloster liegt und viele einflussreiche Persönlichkeiten zur Schule gingen. Hier gibt es Mähnenwölfe (und Elsbeth und Paul). Die scheuen Tiere, eher hochgewachsene Füchse, werden von den Mönchen mit Fleisch angelockt. Wir schlafen in einer Klosterzelle, weil Camping nicht gestattet ist. Der Ort strahlt Ruhe und Kraft aus und die Stimmung hier ist mystisch. Es ist kalt in den Bergen und durchgefroren schlafen wir ein. Paul stand irgendwann nochmals auf und es gelang ihm, das seltene Tier zu fotografieren.

Gemeinsam erkunden wir Ouro Preto, die in Hügel eingeklemmte steile Stadt, schlendern durch die Gassen und erfreuen uns an den schönen Häusern, den Cafés und den Souvenirgeschäften. Das Mineralienmuseum mit seinen tausenden Edelsteinen verlangt uns fast zu viel ab, aber es sind sogar einige Steine aus der Schweiz ausgestellt. In der alten Goldmine müssen wir uns klein machen, das muss eine harte Arbeit gewesen sein, die Lebenserwartung betrug denn auch nur 30-35 Jahre. Arbeiter waren ebenfalls afrikanische Sklaven, ganze Stämme wurden per Schiff von Afrika direkt nach Südamerika „importiert“.

Immer wieder begegnet uns ‚Aleijadinho‘. Der kleine, von Lepra verkrüppelte Mann war Meister der barocken Bildhauerkunst. Jede Stadt, die es sich leisten konnte, verpflichtete ihn beim Kirchenbau. Seine in Speckstein gehauenen Figuren sind aussergewöhnlich ausdrucksstark. Ein Juwel diesbezüglich ist Congonhas.

Am Sonntag besichtigen wir Tiradentes. Wieder so ein Kleinod, für uns allerdings fast zu schön hergerichtet, es scheint nur für Touristen zu bestehen, die auch sehr zahlreich mit Kutschen durch die Strassen chauffiert werden. Wir setzen uns in eine Bar und schauen dem Treiben zu, bevor wir zu Hans auf seinen Camping João Mineiro zurückkehren.

Tags darauf verabschieden wir uns von dieser schönen Gegend. Vor uns liegen rund 1‘500 km zu den Wasserfällen von Iguaçu.