34 – Brasiliens Norden und Nordosten

29. Dezember 2015 – 26. Januar 2016

Route: Oiapoque > Macapá > Belém > Alcântara > São Luis > Fortaleza > Morro Branco

Eigentlich müssten wir laut den Bewohnern von Französisch Guyane schon lange unsere Eheringe, Ohrringe und die Fotoapparate losgeworden sein, besser noch, ein Überleben im nördlichen Teil Brasiliens ist praktisch ausgeschlossen, da geht man besser gar nicht erst hin. Auch der Aufseher im Schwimmbad von Remire-Montjoly, wo wir nochmals Trinkwasser auffüllten rollte mit den Augen und meinte, Nein, in Brasilien ist nichts, gibt’s nichts, hat’s nichts, nicht mal Trinkwasser, nur Gauner. Wir werden das austesten.

Die Goldgräberstadt Oiapoque ist für uns nur Einreisestation, wo unser 3-monatiger Aufenthalt in den Pass gestempelt wird, eine Sache von 10 Minuten. Bei tristem Regenwetter fahren wir los, die 600km lange Strasse nach Macapá hätte laut unserem Reisehandbuch asphaltiert sein müssen, aber der Traum ist schon nach 50km aus. Eine rotschmierige aufgeweichte Piste, Wellblech und Löcher erwarten uns. Das Auto rumpelt, das Besteck klimpert, die Eier purzeln durch den Kühlschrank und hätten wir Rahm, wäre der wohl steif. Mann und Frau verkneifen sich Pipi und erst als die Sonne güxlet und eine Schlange die Strasse kreuzt machen wir einen Stopp. Nach 150km endlich Asphalt. Wir übernachten auf einer Fazenda, 100 Büffel, einige Ferkel und ein Hund mit 7 Welpen, ein Dutzend Hühner und ein herziges Ehepaar. Wir dürften sogar das Haus des Fazendabesitzers benützen, wir wollen die Gastfreundschaft nicht ausnützen und schlafen im Auto, wie eigentlich immer.

Unser Ziel ist Macapá, genau auf dem Äquator liegend, wo wir einmal mehr (durch das Flussdelta des Amazonas führt keine Strasse) eine Fähre nach Belém organisieren müssen, jetzt am Jahresende drängt die Zeit, um nicht tagelang hier hängen zu bleiben. Doch irgendwie finden wir keinen Agenten, der unser Auto als Fracht und uns als Passagiere gleichzeitig mitnehmen will oder kann, es ist einfach nicht unser Tag, also geh ich zur Polizei, schildere das Problem und die lotsen uns freundlich durch das Gewirr von Santana und laden uns grad vor einer Agentur ab, die Frachtschiffe vermittelt. Perfekt, am 2. Januar werden wir verladen und dürfen während der Passage auch im Auto übernachten, was bequemer und luftiger ist, als in den stickigen Hängemattendocks. So verbringen wir das Jahresende in einem abgeholzten Waldstück, trotz der Wärme mit Lagerfeuerromantik.

Die Schifffahrt auf dem Amazonas, der zwischen Macapá und Belém sein riesiges Delta formt, ist ein gigantisches Erlebnis. Wellen wie auf dem offenen Meer, die Ufer zeitweise fast nicht zu sehen, Inseln, Meerschiffe, winzige Dörfer, grössere Städte, Passagiere steigen aus und ein, zeitweise während der Fahrt, Regen und Sturm peitschen auf uns nieder, dann brennt die Sonne wieder und nach zwei Nächten und einem Tag taucht im Dunst des zweiten Tages die Skyline von Belém auf. Es hält uns nur einen Vormittag in Belém, so toll finden wir es hier nicht, die Restaurants an den Docks sind geschlossen, den vielgerühmten Markt haben wir schnell gesehen und eigentlich lieben wir anonyme Grossstädte nicht. Da ist das kleine morbide Alcântara schon besser. Hier schlafen wir in kolonialer Atmosphäre in einer Pousada und entdecken zwischen den Ruinen hübsche Gassen mit portugiesischer Vergangenheit. Zwischen Alcântara und São Luis liegt wieder eine Wasserstrasse oder ein 600km langer Umweg, die Lösung liegt auf der Hand. Beim Warten auf die Fähre treffen wir Vladimir und Ladjana aus Brasilia, die uns beim komplizierten Fährticketkauf unterstützen und uns mit vielen interessanten Reisezielen füttern.

Auch in São Luis übernachten wir in einem Hotel, der Concierge hält ein Auge auf unser Auto, denn São Luis ist supergefährlich… da kommt einem alles abhanden. Wir strolchen durch die Stadt, fotografieren die Häuser mit den Azulejos. Die meist blauen Plättli schützen die Häuser bestens vor Hitze und Feuchtigkeit. Schade einfach, dass trotz Unesco Weltkulturerbe, die Altstadt etwas vor sich hinbröckelt. Wir haben unseren Spass in der Stadt mit den vielen Nachkommen schwarzer Sklaven, deren Musik und Rhythmus aus den vielen Bars dröhnt und die Bandas bereits bestens für den Carnavale gerüstet sind. Ein tolles Erlebnis ist die Bekanntschaft mit Nagib, der unser Auto in der Gasse parkiert sah, selber einen LandRover fährt und uns spontan einlädt, die neueröffnete LandRover Garage seines Freundes Fabrício zu besuchen. Dort werden wir befragt, bewirtet, fotografiert und beschenkt und am Abend noch von Nagib nach Hause zum Znacht eingeladen und selbstverständlich hat man uns die 500m von seinem Wohnort zu unserem Hotel im Auto gefahren, eben weil supergefährlich hier…… wir haben’s dann unterlassen zu berichten, in welchen Quartieren wir den grössten Spass hatten.

Aber nun raus aus der Stadt, ab in die Dünen von Lençoís Maranhenses. Sie wären zwar im April schöner, denn dann wären die Lagunen zwischen den Dünen mit Wasser gefüllt und im Sonnenlicht würden die Pools in allen erdenklichen Blautönen wie Topase und Aquamarine leuchten. Aber eben, die Regenzeit naht und man kann nicht immer zur perfekten Zeit am perfekten Ort sein um perfekte Fotos zu schiessen. So geniessen wir die Dünenlandschaft eben mit weniger Wasser. Aber bis wir sie geniessen können, ist es ein pudriger, weicher und auch matschiger Pfad. Nach 36km Sandpiste gelangen wir nach einer Flussdurchfahrt nach Santo Amaro. An der Tankstelle fragen wir nach einem Führer, der freundliche Tankwarts telefoniert erfolglos, aber er meint, bis zum Anfang der Dünenlandschaft sollten wir das mit unserem 4×4 auch alleine schaffen, wenn wir nur immer schön geradeaus fahren würden. Es kommt anders und wir versaufen bis zum Chassis im Match und Stefan bleibt nichts übrig als die die schwere lehmige Schicht abzuschaufeln, während ich mich auf die Suche nach einem Helfer mache. Der findet sich dann auch und nach anfänglichem Zögern, er ist grad mit dem Töff und Frau und Baby auf Sonntagsausflug, hilft uns der Jüngling indem er einen Traktor organisiert. Gegen 19 Uhr kommt der dann endlich, in völliger Dunkelheit, die Rettungsaktion wird zum Flopp! Meine Nerven sind etwas gespannt. Der Rettungstraktor buddelt sich beim dritten Versuch uns rauszuziehen gleich selber ein. Es muss ein zweiter Traktor her, mit breiteren Rädern und einem besseren Motor. Luíz organisiert gut und der zweite Traktor kommt gegen 22 Uhr, zieht zuerst den ersten Traktor raus und dann ganz sachte unsere Randulina, die nach der blitzsauberen Wäsche in Macapá wieder wie ein Ferkel ausschaut, vor allem unter der Gürtellinie. Und nein, es gibt keine Fotos der Rettungsaktion, erstens war mir nicht danach und dann musste ich zeitweise assistieren und zweitens meinten die Männer es wäre besser für mich während der entscheidenden Aktion weit wegzustehen, denn es bestünde das Risiko eines Stahlseilrisses. Und ja, es ist alles heil geblieben, nicht einen Kratzer, nicht ein Teilchen hat sich gelöst, sogar die Kotschutzlappen haben die Aktion überlebt, danke an Overlandtechnics und Camperwerkstatt für Swiss Quality!

Luíz begleitet uns um dann 23 Uhr zu den Dünen, wo er uns einen schönen Übernachtungsplatz zeigen will. Aber heute scheint der Wurm drin zu sein, sein Motorrad stottert und mangels Benzin geht gar nichts mehr. So fahren wir also nach Santo Amaro zurück, wo eine Tankstelle noch geöffnet hat, mit vollem Kanister wieder zurück, Töff auftanken und weiter in der sternenklaren Nacht zu den Dünen, mittlerweile Mitternacht will Luíz uns noch eine Lagune zeigen, also kraxelen wir müde die Dünen hoch und wieder runter bis wir am Wasser stehen. Uns ist nach Kaffee zumute und einen Schnaps bräuchten wir auch, Luíz tuckert zurück und wir höckeln uns in den Sand und freuen uns einmal mehr über die Hilfsbereitschaft der Menschen hier. Die Nacht ist kurz, um 9 Uhr steht unser Helfer schon vor dem Auto um uns als unser Führer auf der Wanderung durch die Dünen zu begleiten. Es ist eine sinnliche Wanderung, 5 Stunden barfuss durch den Sand, der manchmal kühl, lauwarm, grob oder fein war, manchmal windgepresst hart und manchmal weich zum Einsinken ist. Wir durchqueren matschige und trockene Lagunen und nehmen ein Bad in einem lauwarmen Tümpel. Wie sich beim Zvieri herausstellt, wurde Luíz vom Tankstellenwart kontaktiert, ob er für uns als Guide arbeiten wolle, er sagte aber ab, weil Sonntag war und er lieber mit seiner 16-jährigen Frau und dem 4-monatigen Baby in die Dünen wollte als mit uns. Der Zufall hat uns dann doch zusammengeführt. Nein, ich glaube, es gibt keine Zufälle. Die lehmige Erde wird übrigens für die Herstellung von sonnengetrockneten Ziegelsteinen verwendet, bei längerem Verweilen in der Grube wären wir also buchstäblich eingebacken worden.

Anderntags bekommt unsere Randulina nochmals ein Wellnesspaket vom Feinsten mit Betonung auf Unterbodenwäsche.

Dann geht es wie geplant weiter, alles läuft am Schnürchen. Wir übernachten an menschenleeren Stränden, geniessen in den Bars der kleinen Ortschaften am Meer feine Fruchtsäfte oder abends mal einen Caipirinha, übernachten auf einem Fussballplatz mitten im Dorf. Die Menschen sind unkompliziert, freundlich, entschuldigen sich, weil das Dorf so klein ist, dass es nicht mal einen Laden gibt. Alle freuen sich, dass wir in diese entlegene Gegend kommen, wo sich selten ausländische Touristen blicken lassen.

Im Nationalpark Sete Cidades, Sieben Städte, bestaunen wir bizarre Erosionsformen und unser Führer beklagt sich, dass die Touristen ausblieben, denn wegen der Wirtschaftskrise sind die Werbegelder gestrichen worden. Auch bei der Höhle von Ubajara spürt man die Krise, das Geld für die neuen Seile der Seilbahn fehlt oder ist abhanden – sprich in den Sack irgendeines Funktionärs – gekommen, so wird die Höhle im Park nur noch von gut einem Dutzend Besuchern besucht. Der Weg ist steil und lang und Brasilianer sind keine Wandervögel. Sie machen lieber ein Selfie von sich und der Eingangstafel. So schnüren wir seit langem wieder unsere Wanderschuhe und wandern 5 Stunden im Wald herum mit Höhlenbesuch und Bad unterm Wasserfall. Herrlich, der Parkranger freut sich ab unserer Fitness und dem Wandertempo, denn nach unserer Rückkehr ist für ihn Arbeitsschluss und das mal ausnahmsweise schon um die Mittagszeit.

In Jericoacoara, dem Touristenmagnet der Gegend schmöckern wir etwas herum, genauer nehmen wir das dann mit unseren Freunden unter die Lupe, denn die nächsten Wochen sind wir zu Viert unterwegs.

Wir fahren in die 2.5 Mio. Einwohner zählende Stadt Fortaleza ein, ich lasse das Fenster runter wie immer in einem Dorf oder in einer Stadt und prompt lacht mich an einer Ampel ein Töfffahrer an: „Seja bem-vindo en Fortaleza“ (Willkommen in Fortaleza). In Fortaleza wollen wir zu Brunos LandRover Werkstatt, denn ein Service ist unbedingt nötig. Mit seiner Visitenkarte geht das fix, wir haben Bruno am Strand kennengelernt wo er sie uns für den Fall der Fälle zugesteckt hat. Leider ist die Garage geschlossen, weil Bruno eben auf 4×4 Dünen- und Strandtour ist. Die freundlichen Mitarbeiter einer nahegelegenen schiggi-miggi Fordgarage telefonieren für uns in bester Gastfreundschaft mit Bruno und finden eine Ersatzgarage, die uns mit einem Mototaxi abholen lässt – ein Freund von Bruno hat auch eine Ländi Werkstatt. Man ist eine Gemeinschaft und die Arbeiter freuen sich, an einem so aussergewöhnlichen Auto einen Service machen zu dürfen.

Warum wir nicht selber telefonieren? Gar nicht einfach wenn man die Sprache nicht beherrscht – persönlich ist das kein Problem, aber per Telefon – Prost. Und bevor ich’s noch vergesse, der CEO der Fordgarage beglückte uns freudestrahlend mit zwei Dächlikappen, zwar die falsche Marke, aber ich werde ein Brasilienwappen darüber nähen.

Und ja, ich habe meine 5 Ohrstecker noch und auch die Eheringe sind noch am Finger, Stefans Kamera ist auch vorhanden und die verlorengeglaubte Uhr ist unter meinem Autositz wieder hervorgekommen. Bis jetzt haben wir mehr erhalten als wir uns erträumten, nämlich Gastfreundschaft und Lebensfreude vom Feinsten. Wir hoffen, es bleibt so.