30 – Venezuela – ein anderes Südamerika

13. Oktober – 28. Oktober 2015

Route: Boa Vista > Santa Elena de Uiarén > El Dorado > Boa Vista

Venezuela – Traum- und Alptraumland in einem. Es war das einzige Land, das wir nicht auf unserer Reiseliste hatten. Attribute wie Korruption, Armut, Verbrecherhochburg, Schmuggel und die weltweit höchste Mordrate lasten diesem Land an. Andererseits gibt es einzigartige Natur, mystische Landschaften mit Tafelbergen und die höchsten Wasserfälle der Erde. Dazu die schönsten Frauen, manche Venezolanerin war schon Miss Universe.

Mehrere Male sind wir auf Reisende gestossen, die uns von Venezuela vorgeschwärmt hatten, Sabine und Olaf sowie Pamela und Andi sei Dank, dass wir uns auch hierher gewagt haben. Wir haben es nicht bereut. Weit sind wir nicht gekommen, aber das was wir gesehen haben, war mehr als interessant. Allein die Gran Sabana – die grosse Savanne ist eine Reise wert.

Am 13. Oktober 2015 sind wir mit gemischten Gefühlen in Venezuela eingereist. Der brasilianische Zöllner fragte uns noch, ob wir das wirklich wollen, ja und schwupps sind wir ausgestempelt. Venezuela empfängt uns mit einem monumentalen Zollgebäude und einer riesigen Autoschlange. Noch wissen wir nicht warum, aber das wird sich bald ändern. Für die Einreise benötigen wir alle Ausweise in Original und Kopie und dasselbe von der Versicherung. Kein Problem, haben wir alles. Nein, vom Fahrausweis und der Versicherung nicht, also wieder zurück, ich habe auf der brasilianischen Seite so ein rotes „Xerox“ Bretterhüttchen gesehen, der Brasilianer macht uns fast gratis die gewünschten Kopien, ich werde aber halb wahnsinnig denn uns läuft die Zeit davon (Der Zoll schliesst um 16.30 Uhr, und es ist 16 Uhr.) und der Typ hat seinen Kopierjob nicht im Griff, statt die Vorderseiten kopiert er die Hinterseiten und den Bostich verklemmt’s auch noch. Ich erkläre ihm seinen Apparat und er macht grosse Augen.

An der venezolanischen Immigration geht’s ruckzuck, wir werden eingestemmpelt, ohne Kopien. Dann zur Aduana wegen dem Auto. Wir haben grad noch 10 Minuten, der Zöllner liest alles haargenau mit unserer Versicherung durch und diskutiert wegen unserer Versicherung mit seinem Chef. UNGÜLTIG! Wir müssen also mit dem Auto erlaubterweise „schwarz und unversichert“ einreisen, um in Santa Elena de Uairén eine Haftpflichtversicherung abzuschliessen und dann mit den Dokumenten zurückkehren. Falls wir keine Versicherung haben, kann das an den vielen Strassenkontrollen zu Ärger führen, den wollen wir hier tunlichst vermeiden.

In Santa Elena, etwa 20 km vom Zoll entfernt, hat die Versicherung natürlich schon zu. Geld haben wir auch keines, also nichts wie hin und US Dollar tauschen, die man eigentlich gar nicht einführen darf, die aber jeder Tourist mitbringt. Auf dem Schwarzmarkt gibt’s zur Zeit 100x mehr als auf der Bank. Wir staunen Bauklötze, als wir für 100 US Dollar einen 20cm Stapel Venezolanische Bolívares bekommen. Wegen Falschgeld muss man keine Angst haben, das Papier ist teurer als der aufgedruckte Geldwert. Nachzählen muss man auch nicht, die Mühe lohnt sich nicht. Die Kreditkarten werden weggepackt, das Portemonnaie ist definitiv zu klein, aha, drum haben hier alle ein Bauchtäschlein umgeschnallt. Kaum aus dem schummrigen Büro raus, werden wir angerempelt. Fängt gut an, die wissen sicher, dass wir viel Geld haben. Nein, der Kerl will nur wissen, ob wir die Besitzer des tollen Land Rovers seien, er hätte drum auch einen und sein Freund mit der Posada „L’Auberge“ sei ein Franzose und hätte auch einen. Keine Frage wo wir parkieren und ein Zimmer beziehen. Wir nehmen gleich das teuerste Zimmer, man gönnt sich ja sonst nix, zum Preis von umgerechnet 17 Schweizer Franken. Abends gehen wir essen, das beste Lomito (Filet) Südamerikas liegt auf unserem Teller, das Abendessen kostet uns inklusive Caipirinha 12 Franken. Selber kochen ist definitiv aufwändiger und teurer.

Anderntags machen wir uns auf die Suche nach einem Touranbieter für den Tafelberg Roraima. Diesen Tepuy zu besteigen lockt uns. Wir werden schnell fündig, Claude unser Wirt arbeitet mit backpacker-tours.com zusammen und die bieten ein tolles 6 Tages Trekking mit Führer und Trägern an. Es ist nicht erlaubt, ohne Führung einen Tepuy zu besteigen.

Wir packen unsere Rucksäcke mit Ersatzwäsche, Schlafmatte und Schlafsack sowie Getränk. Zelte, Verpflegung und sogar ein Toilettenzelt wird vom Touranbieter geliefert und von unseren Trägern mitgenommen. Unser sympathische Führer Roger ist ein Pemón Indio und der erste Indigene der die Zulassung als Touristenführer erhalten hat und schon seit 24 Jahren Touristen auf den Roraima führt. Er erzählt und erklärt uns vieles aus seiner Kinder- und Jugendzeit und aus der Kultur der Pemón. Das macht diese Tour so einzigartig. Da er aus dem Grenzgebiet zum ehemals britischen Guyana stammt, spricht er fliessend Englisch, obwohl er nie eine Schule besucht hat. Seine beiden Söhne Roger Junior und Martin sind unsere Begleiter als Träger. Zusammen mit Claudia und Carsten aus Chile und zwei Girls aus Brasilien werden wir die nächsten Tage unterwegs sein.

Die Besteigung erfolgt in 3 Etappen, von denen die ersten beiden wenig anstrengend sind, es geht gemächlich hügelauf und -ab über die heisse Gran Sabana, am zweiten Tag werden zwei Flüsse durchquert, wo wir von Puri-Puri, kleinsten Beissfliegen, in die Waden gebissen werden. Rot gepunktet und verbissen geht’s weiter zum BaseCamp am Fuss der 500m hohen Roraima Wand. Wir werden von Roger jun. und Martin kulinarisch verwöhnt und bevor wir die Steilstufe mit der Rampe auf den Gipfel nehmen, zaubern die beiden ein typisches venezolanisches Frühstück mit Arepas (Fladenbrot aus Maismehl mit Käse gefüllt). 800 Höhenmeter und 4km heisst es heute zu bezwingen, was wir in 4 Stunden schaffen. Es geht steil, manchmal auf allen Vieren, bergauf durch Dschungel und der Wand entlang an der über 1000 jährige Farnbäume wachsen. Eine schräge „Rampe“, der einzige Weg auf den Tepuy Roraima, führt auf den Gipfel. Wir haben Wetterglück, schon der dritte Sonnentag, obwohl der Gipfel im Normalfall eingenebelt und Regen alltäglich ist. Deshalb auch der dichte Dschungel, der Nebelwald. Kurz nach 11 Uhr haben wir es geschafft. Jetzt sind wir gespannt auf dieses riesige 60km2 grosse Gipfelfeld. Unsere Zelte stehen gut geschützt unter einem Felsvorsprung. Nach dem Zmittag geht es auf Entdeckungstour. Man könnte sich ohne Führer glatt verirren. Wir wackeln über natürliche Steinbrücken, sehen verwitterte Fantasiefiguren, Kristallbänder ziehen sich durch das Gestein, schliesslich sind diese Tepuys uralt. Es sind die Überreste des alten Gondwana Kontinentes, als Afrika und der ganze amerikanische Kontinent einen riesigen Superkontinent bildeten. Der ehemals rosa Sandstein ist mit schwarzen Flechten überzogen, wir gehen über rosa Sandflächen, 1,800 Millionnen Jahre alt. Wir staunen über fleischfressende Pflanzen und schwarze Frösche. Alles ist endemisch, hat sich nie mit anderem vermischt. Anderntags grandiose Aussicht. Wieder ein Wetterglück, das es laut Roger nur einmal jährlich gibt. Wir blicken über den dichten Dschungel nach Guyana, sehen die Steilwand des Nachbartepuy Kukenan und dessen Wasserfälle, das Morgenbad nehmen wir in den sogenannten Jacuzzis, kleinen Pools, die wegen der enthaltenen Bergkristallen glitzern. Am Nachmittag überblicken wir vom höchsten Punkt (2793müM) unseren Anmarschweg und die Gran Sabana und warten unter einem Felsunterstand einen leichten Regenschauer ab. Eine Nebelschlange windet sich auf uns zu. Abends dann ein Gewitter. Doch zum Abstieg am Morgen scheint die Sonne. Mit Muskelkater in den Beinen kommen wir nach 6 Wandertagen wieder in Paraitepuy an, wo uns ein Jeep nach Santa Elena zurückbringt.

In Santa Elena lassen wir unsere Wäsche waschen, hier zu günstigeren Konditionen als in Brasilien und bezahlen wieder mit Zentimeter hohen Notenbündeln. Bei einem Bummel durchs staubige Dorf staunen wir über die Vielfalt von Artikeln, die niemand braucht und über deren Preise, sowie über die einseitig aufgefüllten Lebensmittelregale. Man kauft was es hat und richtet den Menuplan danach. Lebensmittel sind teuer, der Mindestlohn liegt bei etwa 7000 Bolívares, etwa 14 CHF. Man verdient sich einen Zustupf, indem man seinen Tank mit Gratisbenzin füllt, ja richtig gelesen Benzin ist gratis, und dieses v.a. in der Grenzregion ins Ausland verkauft, deshalb diese Warteschlangen. Auch wir brauchen mal Diesel. Wir versuchen es im Dorf „Kilometer 88“, die Schlange ist lang und drum geh ich zu den Militärs und frage, ob sie nebst Benzin auch Diesel hätten und wir volltanken könnten, sicher meinen die, aber „nur“ 60 Liter. Als ich zahlen will, winken alle ab und wir staunen.

Ein grösseres Schmuggelnest ist El Dorado. In der Minenstadt wo Gold und Diamanten gefördert werden geht es aber nicht nur um Benzin, sondern auch um Lebensmittel für die Mineure in jenem Zipfel von Britisch Guyana, welcher nur von Venezuela aus per Boot erreichbar ist.

Wir verbringen ein Wochenende in El Dorado und werden von Bruno, einem Schweizerisch-venezolanischen Doppelbürger und Ausbildner in der hiesigen Armee in die Gepflogenheiten der rauhen Region eingeführt. Bruno ist hier eine graue Eminenz, die jeder kennt. Und wirklich, als wir am Sonntag zur Tankstelle fahren, und die diensthabenden Militärs Bruno sehen, werden unsere Tanks superfreundlich mit Gratisdiesel betankt. Mit Ramon haben wir Früchte und Joghurt eingekauft, für uns spottbillig, für Venezolaner Luxusprodukte. Vielen Dank Bruno und Ramon, ihr habt uns prächtig unterhalten und uns viel über dieses spannende Land mitgegeben.

Da die Grenze zwischen Venezuela und Kolumbien vorderhand geschlossen ist, fahren wir wieder zurück in die Gran Sabana Region. Diese gefällt uns auch besser als das tropische Dschungelgebiet. Bei prächtigstem Wetter gucken wir Wasserfall um Wasserfall. Alle mit tosenden Wassermassen aber den unterschiedlichsten Formen, einige auf ruppigen 4×4 Pisten erreichbar, andere bequem mit dem Boot. Alle Wasserfälle befinden sich wie auch die Tepuys im Nationalpark Canaima, wo es auch landschaftlich reizvolle Campingplätze hat. Für ruhige Nächte ist hier gesorgt, es rauscht nur das Wassser, Schmugglerboote gibt’s hier keine.