29. September – 12. Oktober 2015
Route: Porto Velho > Manaus > Boa Vista
Wir müssen mit unserer Randulina bereits um 12 Uhr auf den Kahn fahren obwohl wir erst anderntags um 18 Uhr lostuckern werden. Das heisst für uns, eine Nacht im Hafen auf dem Schiff zu verbringen. Es ist uns bald klar weshalb. Die „Vieira lll“ bleibt nur kurze Zeit an der Verladerampe liegen. Nachdem Stefan das Auto auf’s Deck parkierte, wird abgelegt und das Schiff am Pier festgemacht. Dann gibt’s Action! Ein Lastwagen mit grünen Bananen wird abgeladen, alles von Hand, ohne Förderband, dann ein Lastwagen voller Maiskörner, Bohnen, Soja, ein weiterer mit Zucker. Die schweissttriefenden Dockarbeiter mit ihren gestählten Körpern tragen jeweils 90 kg Säcke vom Lastwagen ins Schiff, welches immer schwerer wird und bald tief im Wasser liegt. So geht das bis anderntags am Abend. Passagiere kommen und hängen ihre Hängematten im Mitteldeck auf. Ein Gewusel wie im Bienenhaus.
Derweil richten wir uns auf dem Frachtdeck gemütlich ein. Meine Hängematte ist auch auf dem Mitteldeck aufgehängt, das ist lustig bis die Zahl der Passagiere zunimmt, aber ich mich wie eine Sardine in der Dose fühle, der Motorenlärm ist dort oben auch sehr laut, unten beim Auto isoliert die Fracht den Lärm und wir haben eine prima Aussicht und Wind.
Glücklicherweise haben wir unsere eigenen Vorräte mit dabei und müssen uns nicht unbedingt ans Buffet stellen, schwarze Bohnen, Spaghetti, Reis und Huhn ist das Mittags- und gleichzeitig das Abendmenu für die nächsten 3 Tage. Die Abwechslung besteht darin, die Schüsseln in wechselnder Reihenfolge hinzustellen, so heisst das Menu anderntags Huhn, Spaghetti, schwarze Bohnen und Reis.
Der Pegelstand des Rio Madeira mit seinem weiss-beigem Wasser ist niedrig. Gut für die vielen Goldbaggerschiffe, die wir kreuzen, kauzige Gesellen leben auf diesen und waschen Gold aus dem Sand. Ein Motorschiff kommt uns legt an unserem Schiff an, Frachtgut wird umgeladen, ein Fischerboot hängt sich an, die Männer wollen ihre Fische verkaufen, nein, zuwenig Fisch für soviele Passagiere, es gibt weiterhin Poulet. Zwei grosse Tanker sind auf eine Sandbank aufgelaufen und werden abgepumpt. Es ist immer etwas zu sehen. Statt mit dem Schulbus werden die Kinder mit dem Schulschiff abgeholt und zur Schule gebracht. Der Fluss ist die Lebensader im Amazonas. Die Wälder sind zwar in Ufernähe abgeholzt und wir sind erstaunt, wieviele kleine Dörfer es gibt, Kühe weiden, Bananen- und Papayaplantagen sind sichtbar. Hin und wieder fliegen Papageien davon und wir werden immer wieder von Schmetterlingen besucht. Kleine Flussdelfine springen elegant aus dem Wasser, hin und wieder sehen wir auch die rosa Botos – rosarote Flussdelfine.
Man sieht gut, wie der Pegelstand sich bei Hochwasser verändert. Dann stehen die Uferbäume meterhoch im Wasser und die Menschen können direkt vom Haus ins Boot einsteigen. Wir riechen aber auch Rauch, der Amazonas brennt, wir erfahren später, dass es allein um Manaus herum über 6000 Brandherde gibt. Es ist ein „El Niño Jahr“, das beschert Mittel- und Nordbrasilien Hitze, in Südbrasilien sind ganze Landstriche unter Wasser. Wir haben uns gut an die Hitze gewöhnt, weil wir dachten, das sei normal. Die Brasilianer stöhnen. Doch dann schaut es aus, als gäb’s ein Gewitter, schnell alles festzurren, der Sturm naht, die Matrosen sichern die Fracht ebenfalls nochmals ab und ein heftiges Gewitter fegt über uns hinweg. Die Wellen schlagen auf unser Deck. Wir höckeln gemütlich im Auto und geniessen einen Pisco. Bald ist der Spuk vorbei und wir treffen uns mit Anne-Sophie und Rémi, zwei junge Franzosen zum Kaffee. Es geht einfach nichts über unsere Kaffeemaschine – das Bialetti Krüglein ist immer mit dabei.
Am letzten Tag wiederum etwas Abwechslung. Nachts sind wir in den Amazonas eingefahren. Der Fluss ist so breit, dass wir das andere Ufer kaum sehen können, die Uferlandschaft hat sich geändert, farbige Stein- und Sandbänke erwarten uns. Und dann kommt das spezielle Naturphänomen: „Encontro das Aguas“ das Zusammentreffen des Rio Negro (schwarzes Wasser) mit dem Rio Solimões (weisses Wasser). Unglaublich, über mehrere Kilometer vermischen sich die beiden Wasserarten nicht und fliessen quasi nebeneinander her. Das hat mit der Zusammensetzung der beiden Flüsse zu tun, der Erste ist sauer, warm und quasi ohne Sedimente, der Zweite bringt viel Sediment aus den Anden mit und ist auch viel kälter. Da wo Schwarzwasserflüsse fliessen hat es auch praktisch keine Moskitos, denn das saure Wasser tötet die Moskitolarven ab.
Und schwupps sind wir in Manaus. Für uns fährt der Kapitän extra an die Rampe. Mit Anne-Sophie und Rémi gibt’s noch ein Bier aus Ermangelung an was anderem und die Wege trennen sich wieder. Wir fahren sofort aus der Millionenstadt raus. Vom Dschungel ist nicht mehr viel übrig – eher Grossstadtdschungel.
In Novo Airão, einem kleinen Dorf am Rio Negro ist es uns wohler. Wir beziehen auf der Posada „Bella Vista“ ein hübsches Zimmer und geniessen vor dem Zimmer unseren Lesenachmittag zusammen mit einer kleinen Vogelspinne. Später fahren wir wieder einmal Boot. Die Landschaft wirkt hier intakt, der Wald ist dicht und unser Führer bringt uns zu wunderschönen Stellen im Anavilhanes Nationalpark.
Anderntags statten wir den eigenartigen rosa Flussdelfinen einen Besuch ab. Fast blind, das Wasser ist auch zu dunkel um etwas zu sehen, haben sie ein ausgeprägtes Sonarsystem zur Orientierung. Eine private Institution kümmert sich in Zusammenarbeit mit dem Nationalpark um die Erforschung und den Schutz dieser Tiere. Abends mixt uns Frank einen Caipirinha, wir könnten uns daran gewöhnen. Wir setzen uns mit Alison zusammen, die uns ihre brasilianischen Geheimtipps offenbart. Schnell zeichnen wir alles auf der Karte ein um ja nichts zu vergessen, der Alkohol zeigt nämlich Wirkung.
Anderntags lernen wir Pamela und Andi aus Chile kennen, die uns wie Sabine und Olaf von Venezuela vorschwärmen. Uns surrt der Kopf, das muss alles zuerst verdaut werden.
Jetzt sind wir bereit für den Grossstadtdschungel Manaus – wir kommen. Schliesslich möchten wir uns dort einen weiteren grossen Traum erfüllen. Eine Oper oder zumindest ein Konzert im berühmtesten Opernhaus der Welt mitten im Dschungel. Es klappt alles wie am Schnürchen, unsere Randulina ist schnell und sicher in einem bewachten Parkplatz abgestellt, wir kriegen mitten im Kuchen neben dem Opernhaus ein Zimmer und es gibt sogar Konzerte, gratis. Davon wollen wir profitieren. Und so hören wir dann „Finlandia“ von Sibelius im Dschungel sowie Bossa Nova Jazz. Manaus erlebte seinen Höhepunkt um die Jahrhundertwende mit dem Kautschukboom. Im Bundesstaat Acre wurde zwar mehr Kautschuk produziert, aber die Vermarktung lief über Manaus. Die Kautschukbarone bauten sich hier ihre schmucken Stadtvillen, von denen einige renoviert sind, andere baufällig vor sich hin gammeln.
Wir werfen einen Blick hinter die Kulissen des damaligen Reichtums und fahren wieder einmal Boot. Eine interessante Flussfahrt mit einem „Flussbus“. Wir besichtigen das Kautschukmuseum Seringal, wo ein kleiner Kautschukbaron lebte. Die Führerin erklärte uns anekdotenreich die tragische Geschichte der Menschen, die hier arbeiteten, die zarten Liebesgeschichten, die sich zwischen dem Verwalter und der Dame des Hauses abspielten. Wir hätten stundenlang zuhören können, zumal sie aus eigenem Erfahrungsschatz berichtete, denn ihre Vorfahren arbeiteten auf dieser Kautschukplantage. Es gäbe noch viele Galerien und Museen, aber irgendwann ist Schluss. Nur noch in die Markthalle, die den Les Halles von Paris nachempfunden ist. Hier erstehen wir einen Tukan aus Holz, der wird der neue Freund unserer Randulina. Dann verlassen wir Manaus, fahren am Fussballstadion vorbei und denken an die Schweizer Fussballnati die hier an der WM spielte. Heute wird nicht gespielt, aber es muss schon wieder renoviert werden….
Einen tollen Übernachtungsplatz finden wir am Balbina Stausee, wo sich rosa Delfine und Otter tummeln. Das Wasser ladet zum Bade, doch es fühlt sich an wie in einer Badewanne, keine Abkühlung. Die BR 174, alles asphaltiert führt nach Boa Vista. Wo eine Strasse ist, siedeln sich Menschen an, was bedeutet, dass Urwald abgeholzt wird. Wir durchqueren das Stammesgebiet der „Waimiri Atroari“ Indianer, die für ihre Flechtarbeiten aus Plamblättern bekannt sind. Schade haben wir so wenig Platz, immerhin reicht es für ein Armband. Im Reservat, das nur von 6 Uhr morgens bis 18 Uhr abends durchfahren werden darf, herrscht Urwald bis an den Strassenrand. Die Bäume hängen tief und es kommt ein wenig ein Urwaldgefühl auf. Kaum ausserhalb, wird das Land wieder intensiver genutzt. Wir kommen in Boa Vista an, das aus der Luft sicher interessant wäre. Die Stadt ist halbkreisartig mit sternförmig auseinanderlaufenden Strassen, breiten Alleen und riesigen meist schattenlosen Plätzen gebaut worden.