24 / 25. Juli 2015
Nach erlebnisreichen Tagen auf dem Salar de Uyuni fahren wir auf dem Altiplano im Westen Boliviens südwärts und freuen uns an der schönen Landschaft. Dann, hinter einer Kurve parkieren Lastwagen entlang der Strasse. Was ist denn da los? Ein Volksfest? Eher nicht, die Chauffeure winken uns, wir sollen das Tempo drosseln und anhalten. Wir quetschen uns in eine „Parklücke“ zwischen zwei Lastern. Jemand kommt zu uns und erklärt uns, dass die Strasse nach Oruro seit 3 Tagen hier blockiert sei, gleich rennt dieser jemand wieder weg. Wir steigen aus. Und wirklich, die Strasse ist mit Steinen, Schutt, sitzenden Indiofrauen und quergestellten Lastwagen regelrecht abgeriegelt. Eine Gruppe ruft uns zu, wir sollen zu unserer eigenen Sicherheit nach Rio Mulatos zurückfahren. Was wir denn auch versuchen. Aber das ist aussichtslos, denn mittlerweile wird die Strasse von beiden Seiten abgeriegelt. Man empfängt uns mit Schlagstöcken und Steinen. Wir halten an, denn die Windschutzscheibe sollen sie uns nicht einwerfen und versuchen in einem Gespräch eine Durchfahrt zu erreichen. Nützt natürlich nichts, sie sind engstirnig, es sei halt unser Fehler, dass wir zur falschen Zeit am falschen Ort seien. Wenn es uns gelänge, vom Anführer eine schriftliche Genehmigung zu erhalten, liessen sie uns durchfahren. Die Blockade dieser 5 Männer wollen wir nicht einfach durchbrechen, sie wirken aggressiv und zu allem bereit. Und ich bin sicher, die Geschosse der Steinschleudern hätten unserer Randulina nicht gut bekommen. Wir können beobachten, wie ein gelber Lastwagen auf einem Feldweg die Blockade zu umgehen versucht. Aber die Männer sind schneller und hängen sich an den Laster und zwingen ihn auf die Strasse zurück. So geschieht es ebenfalls mit einem Pickup. Die Männer schwingen sich blitzgeschwind auf die Ladebrücke und zwingen den Pickup sich ganz nach vorne einzureihen. Er wird gleich auch dazu benützt, die Strasse zu blockieren. Bei uns kann sich glücklicherweise niemand ans Auto krallen, wir kehren um und reihen uns wieder zwischen die Lastwagen ein. Sicher ist sicher.
Irgendein Typ, wir wissen nicht, ob er zu den Lastwagenfahrern oder zum Blockierertrupp gehört, kommt zu uns ans Auto und erklärt uns die Situation. Boliviens Präsident Evo Morales habe dieser Region einige Projekte zum wirtschaftlichen Aufschwung versprochen, bis heute wurde in der ärmsten Provinz aber nichts realisiert. Nun ist der Bevölkerung der Kragen geplatzt und mittels dieser und einer anderen Strassenblockade nahe Potosí soll der Bau einer staatlichen Zementfabrik erzwungen werden.
Einige Stunden später hat sich die Situation etwas entschärft. Wir suchen gemeinsam den Chef der Blockade auf, der uns natürlich keine schriftliche Erlaubnis gibt, aus der Blockade herauszukommen. Jegliches Gespräch mit uns lehnt er strikte ab und erklärt uns, wir müssten Geduld haben, andere sitzen schon seit 3 Tagen fest. Um 16 Uhr gäbe es Neuigkeiten, wir würden dann informiert. Jetzt ist es 11 Uhr. Also vertreiben wir uns die Zeit mit lesen und spielen. In der Zwischenzeit wird uns langsam klar, wer zu welchem Trupp gehört. Die Lastwagenfahrer haben ebenfalls einen Anführer, Julio. Er entschuldigt sich bei uns, weil wir als Touristen so etwas erleben müssten und nun über Bolivien schlecht denken würden. Aber er würde dafür sorgen, dass uns nichts passiert. Er nimmt auch an der Diskussion um 16 Uhr teil, wo entschieden wird, wie lange die Blockade noch dauern soll. Er kommt dann auch mit der Nachricht zu uns, dass vorläufig nichts zu machen sei und wir die Nacht hier auf der Strasse verbringen müssten. Es gesellen sich weitere Chauffeure zu uns und nehmen unseren Land-Rover in Augenschein. Alle sind sich einig, dass wir wohl das beste Fahrzeug hätten, um hier zu übernachten. Ich brutzle uns eine feine Rösti, Stefan öffnet eine Flasche Wein, wir heizen tüchtig ein und überstehen die eiskalte Nacht auf 3‘800 müM problemlos. Ab und zu einen knallt ein Feuerwerkskörper und wir hören lautes Geschrei, sind aber weit vom Geschütz entfernt und stören uns nicht weiter daran.
Wie immer scheint am Morgen die Sonne und draussen ist es wärmer als im Auto. Also machen wir einen Spaziergang nach vorne, da kommt uns gleich Julio mit Marina und Denis aus Deutschland entgegen. Die beiden mussten die Nacht ganz vorne im Pulk verbringen. Ihr Pickup wurde ebenfalls als Strassensperre missbraucht und als sie nachts den Motor laufen liessen, um die Standheizung zu aktivieren, schlug man ihnen mit Schlagstöcken aufs Auto und rammte gleich noch einen Nagel in den Pneu, damit sie mit dem Plattfuss nicht wegfahren konnten. Man stellt sich eine Hochzeitsreise nicht so vor, oder?
Einer der Rädelsführer entschuldigt sich dann doch bei ihnen für den Übereifer der Blockierer, während die Lastwagenchauffeure das Rad wechseln. Wir machen dann mal Kaffee und Brötchen bei uns im Auto damit Marina und Denis sich in der Randulina aufwärmen und verpflegen können.
Ob wir das denn nicht auch bei uns hätten, wollen die Blockierer wissen, das sei doch normal, wenn man die Regierung unter Druck setzen wolle um seine Ziele zu erreichen. Sie staunen nicht schlecht, als wir ihnen erklären, dass das in unseren Ländern nicht so gehandhabt werde und wir Konflikte mit demokratischen Regeln lösen. Unverständlich für die Bolivianer.
Gegen Mittag werden wir von den Lastwagenfahrern zum Zmittag eingeladen. Die Lastwagen transportieren ja auch Lebensmittel, so ist Hunger kein Problem. Und auch bei den Blockierern kann man sich mit Essen eindecken. Einige Indiofrauen kochen Suppe, Eintöpfe und dicke Bohnen andere sind im Sitzstreik. Die Situation wirkt irgendwie komisch und grotesk.
Und dann die Wende. Der Alcalde, Bürgermeister, trifft ein und wir 4 Touristen werden zu ihm gebeten. Man bietet uns quasi ein Friedensmahl an und er macht mit uns Smalltalk, will vieles über und von uns wissen, über unsere Länder… und pünktlich um 14 Uhr schickt er uns wieder weg. Wir würden weiteres später erfahren. Gegen halb drei Uhr werden wir vom anderen Rädelsführer „empfangen“ und er erlaubt Marina und Denis jetzt loszufahren. Wir beide dürften 2 Stunden später die Blockade verlassen. Wir können natürlich um 16 Uhr nicht einfach losbrausen, denn wir wissen nicht, ob der Mob vom Entscheid des Anführers weiss. Während Stefan langsam aus der Kolonne herausfährt, suche ich nochmals den Chef, damit er die Situation klar regelt. Natürlich ist er nirgends zu finden, und niemand kennt den Chef oder weiss wo er ist. Mit einer Gringofrau will niemand sprechen.
Gegen halb fünf erhebt sich der Chef aus seiner Siesta und um 17 Uhr dürfen dann auch wir die Blockade verlassen. Schön langsam, damit keiner der Blockierer meint, wir seien auf einer unerlaubten Flucht fahren wir im Zickzack durch die Sperren.
Nach diesem etwas besonderen Reiseerlebnis sind wir froh, wieder in Freiheit zu sein. Leid tun uns einerseits die vielen Lastwagenchauffeure, die noch eine oder zwei weitere Nächte auf der Strasse verbringen müssen und andererseits auch die hoffnungslosen Blockierer, die zwar mit dieser Aktion etwas Aufmerksamkeit erreichen konnten, aber kaum mehr.