20. Februar 2015
Wo immer man in Chile reist begegnet man Vulkanen. Die Menschen leben hier mit ihnen, werden ab und zu von ihnen überrascht, was Auswirkungen auf Tourismus, Industrie und die momentane Lebensqualität hat und manchmal grenzübergreifend auch Argentiniens oder Uruguays Flugverkehr lahmlegt. Aber niemand lässt sich von den Vulkanen beherrschen. Was wir bis jetzt an Vulkanen gesehen haben spuckte auch nicht Lava, da waren keine grossen Lavaströme zu erkennen, sondern vor allem Asche, die als gröbere Bimssteine oder kleinere Kiesel oder eben als Feinstaub herabgeregnet wurden. Ganz eindrücklich der letzte Ausbruch des Vulkanes Puyehue der 2011 eruptierte. Ganze Seen wurden mit Bimssteinen, die sind sehr leicht und schwimmen, zugedeckt. Strassen, Wälder, Dörfer wurden mit der Bimssteinasche wie mit Schnee überzogen und mussten freigeschaufelt werden. Die Asche wurde kilometerweit getragen und hat alle Berge rundherum eingepudert. Der Regenwald veränderte sich teilweise in einen Skulpturenwald mit Sanddünen. Aber die Pflanzen sind stark, überall treibt junges Grün, Bambus und Johannisbeersträucher, Farne und einzelne Bäume schlagen aus.
Sicher wäre der Puyehue auch eine Besteigung wert gewesen, uns hat es aber der imposante Kegel und die schöne Form des Vulkans Osorno angetan. Schon von weither sichtbar steht dieser perfekte Berg zwischen dem Lago Llanquihue und dem Lagos Todos Los Santos im Parque Nacional Vicente Perez Rosales. Er ist so vollkommen schön mit seiner Gletscherkappe, weil sich zu seinen Füssen etwa 40 Krater befinden, aus denen er sich jeweils entladen hat, so haben die Ausbrüche seiner Schönheit nichts anhaben können.
Im Conaf-Büro in Ensenada melden wir uns beim Parkranger und fragen nach dem Wetter. Er bestätigt uns für Freitag 20.2.2015 wolkenlos und windstill. Perfekte Bedingungen für eine Besteigung. Wir haben unser gesamtes Bergsteigerequipment mitgebracht. Das ermöglicht uns eine Besteigung ohne Führung. Der Ranger meint, wir sollen uns noch bei seinem Kollegen auf dem Berg melden. Auf dem Berg meint: Wir fahren die asphaltierte Strasse hoch bis zur Talstation des Wintersportgebiets Osorno. Hier ähnlich wie bei uns, einfach völlig veraltet: Sesselliftanlagen, einzelne Wanderwege und natürlich Hotels und Restaurants. Der freundliche Parkranger spricht sogar Französisch und bestätigt die Wetterprognose für den Berg für den morgigen Tag. Wir richten unsere Rucksäcke und dürfen vor dem Bergbüro des Parkrangers übernachten, nachdem wir ein Formular mit unseren Ausrüstungsgegenständen, einer Notfalltelefonnummer in der Schweiz sowie mit unseren alpinen Leistungsausweisen ausgefüllt hatten. Den schönsten Berg scheint das nicht zu kümmern, er versteckt sich in dichten Wolken. Erst beim Sonnenuntergang zeigt er sich in seiner vollen Schönheit, wir haben ihn ja schon einige Male vorher gesehen, aber nie von so ganz nah. Die Spalten, die perfekte Kappe, der rutschige Wanderweg in der groben Asche.
Tagwache um 5.15 Uhr, Abmarsch eine Stunde später mit Stirnlampen. 2 Dreierseilschaften hörten wir schon um 5 Uhr abmarschieren, eine Zweierseilschaft wanderte am Abend vorher ab und biwakierte. Wir nehmen es gemütlich.
Anfänglich steil und über das Aschefeld ziemlich rutschig, ich fluche, weil ich wieder keine Stöcke gekauft habe, das wird mein letzter Vulkan ohne Wanderstöcke sein. Allmählich etwas gemütlicher auf dem normalen Wanderweg, kein Mensch wandert unten, weil da zu normaler Zeit eine Seilbahn hochfährt. Die Aussicht ins Tal perfekt, vor uns geht die Sonne auf, direkt hinter dem Osorno, der Lago Llanquihue glitzert, die anderen Seilschaften werden wir bald eingeholt haben. Wir sehen sie vor uns. Dann klingelt mein Telefon, oh Schreck ich habe hier Empfang. Oh Jubel, unser Sohn hat seine Abschlussprüfungen bestanden, das ist es wert und beschwingt wandern wir noch eine Stunde weiter, bis wir in den Klettergurt steigen, die Steigeisen montieren und uns anseilen. Mit dem Pickel in der Hand geht es nun gemütlich bergauf, bis zu der Stelle, wo es eine etwa 60 m hohe Eiswand zu erklettern gilt. Die erste Zweierseilschaft arbeitet sich die Wand hoch, wir ziehen unsere Helme an, ja wir haben nur Velohelme, aber für alles haben auch wir keinen Platz im Auto gefunden. Die eine Seilschaft mit Bergführer geht los, wir gleich nebenan setzen auch zum Aufstieg an, die Wand ist breit genug. Stefan geht voraus, sichert mich und ich steige nach. Das Eis ist gut, nicht glasig wie anscheinend am Tag davor sondern schön griffig. Wir durchklettern die teils fast senkrechte Wand im Sauseschritt und es ist nur noch ein Spaziergang auf den 2652m hohen Gipfel des Osorno, weil wir die Höhe erreicht haben und der Gipfel flach und gross wie mehrere Fussballfelder ist. Die Sicht ist atemberaubend. Ein riesiges Nebelmeer unter uns.
Wir wissen, dass es eine Kaverne gibt, aber nicht genau wo. Der chilenische Bergführer, der mit der nächsten Seilschaft kommt, erklärt uns den Weg. Nach dem etwas frühen Zmittag, wir erreichten den Gipfel um 10.45 Uhr, suchen wir also die begehbare Eishöhle. Eine unscheinbare Spalte, recht klein, 2 m tief, man könnte also nicht mal wirklich reinfallen. Wir klettern hinunter und vor uns tut sich der Eingang zum Palast der Schneekönigin auf. Uns verschlägt es die Sprache. Eis in allen Blau-, Weiss- und Grautönen, filigrane Eiszapfen, ein See aus Eis. Formen wie vom Glasbläser. Zauberhaft und wunderbar. Dass wir das Sehen dürfen, dieses Erlebnis werden wir nicht so schnell vergessen.
Anschliessend machen wir uns an den Abstieg. Da bin ich nicht so ein Hirsch, aber wir haben keine Eile. Stefan sichert mich wieder und die 60 m sind auch geschafft. Mehr Respekt habe ich mit meinen Knien vor dem losen Aschegeröll. Aber auch das meistern wir und sind um 14.45 Uhr wieder beim Auto. 1500 Höhenmeter haben wir geschafft, wir sind von diesem Erlebnis immer noch voller Adrenalin. Wir werden vom Parkranger empfangen, er habe uns mit dem Fernglas nachgeschaut, wir wären ja sehr fit, bestätigt er uns, so schnell unterwegs und wir sähen gar nicht müde aus. Wir nehmen das Kompliment gern entgegen. Das kalte Citro schmeckt auch ohne Bier herrlich erfrischend.
Wir hängen unsere nasse und staubige Ausrüstung am Geländer auf und verstauen danach alles wieder ins Auto. Jedes Ding hat seinen Ort, wir verabschieden uns und fahren zurück an den Lago Llanquihue, wo wir im See ein erfrischendes Bad nehmen.
Zu den klimatischen Bedingungen ist zu sagen, dass wir absolutes Glück hatten. Die Wettervorhersage wies 5 aufeinanderfolgende Tage mit bestem Bergwetter auf, aber wer in den Bergen unterwegs ist weiss, dass das Wetter innerhalb von Minuten ändern kann. Die beiden chilenischen Bergführer meinten, normalerweise könne man grad mal 5 Minuten auf dem Gipfel sitzen und viele Touren müssten wegen zu starkem Wind im Gipfelgebiet abgebrochen werden. Wir sassen sicher 30 Minuten auf dem Gipfel, konnten die Kaverne besuchen und langsam absteigen ohne dass wir uns ums Wetter hätten kümmern müssen.
Für alle, die den Osorno auch mal erklettern wollen, aber nicht ganz führungslos:
Sehr sympathisch: Mountain Guides in Southern Chile www.huellandina.com.